Интернет-проект «1812 год»

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П.И. Тизенгаузен
«Суворовский поход в Италию и Швейцарию. Из записок очевидца»
 
«Suworow`s Feldzug in Italien und der Schweiz.
Aus den Aufzeichnungen eines Augenzeugen».
 

Der am 30.November 1864 zu Reval verstorbene wirkl. Geheimrath und Senateur Reichsgraf Paul Tiesenhausen (geb. den 28. Aug. 1774) hat in hohem Alter auf Wunsch seiner Kinder über die wichtigsten Ereignisse seines langen und reichen Lebens Einiges aufgezeichnet, wie ein sehr treues Gedächntißes ihm darbot. Mit großer Vorliebe, wie es scheint, und bei Weitem am ausführlichsten, ist der Feldzug Suworow`s 1799 behandelt, an welchem er, bis dahin Adjutant des Großfürsten Alexander, auf seinen besonderen Wunsch teilnehmen durfte, und in der That enthält die lebendige Schilderung des Selbsterlebten und Selbstgesehenen so viele charakteristische Züge und Ergänzungen zu dem längst Bekannten, daß eine Publication derselben, zu welcher der Sohn des Verstorbenen, Herr Graf Tiesenhausen aus Sellie und Odenwald, bereitwilligst seine Erlaubnis ertheilt hat, auch jetzt nicht ohne Werth sein dürfte. Gehört doch, wie der Verfasser sich ausdrückt, dieser Feldzug ewig der Geschichte an zum großen Ruhme der Waffen Rußlands, und - setzen wir hinzu - auch zum Ruhme der Deutschen Rußlands, von denen nicht Wenige in diesen Aufzeichnungen in ehrender Weise hervorgehoben werden.

C. Winkelmann

 
5. Abmarsch nach Norden.

Hier beschloß der Feldmarschall, da die französische Armee so geschwächt war, daß sie sich nur auf die Verteidigung von Genua beschränken konnte, einem abgesonderten österreichischen Corps ihre Beobachtung zu überlassen und selbst mit dem Rest der allierten Armee gegen die französische Grenze an den Fluß Bar zu rücken, dort neue Verstärkungen abzuwarten und dann in Frankreich einzurücken, während den österreichern überlassen blieb, Genua zu belagern.

Hätte dieser Plan ausgeführt werden können, wie so ganz anders wäre der Feldzug im Jahre 1800 ausgefallen! Leider mußte dieser so wohl durchdachte Beschluß aufgegeben werden, da ein Courier aus St.-Petersburg dem Fürsten Suworow den unerwarteten Befehl brachte, sich von den österreichern zu trennen und mit allen Russen den Marsch nach der Schweiz anzutretten, sich daselbst mit den mittlerweile dort eingetroffenen russischen Truppen, circa 30.000 Mann stark unter dem General Korsakow, zu vereinigen und den Oberbefehl des Ganzen zu übernehmen, weil beide Höfe zu Wien und St.-Petersburg sich dahin vereinigt hatten, daß von nun an die österreicher in Italien und die Russen in der Schweiz allein gegen die Franzosen agieren sollten. Dieser Befehl wirkte wie ein Donnerschlag auf uns Russen und war die Folge einer österreichischen Intrigue und des Neides über den brillianten Erfolg der russischen Mitwirkung in Italien. Das ganze nördliche Italien von den Grenzen österreichs bis zu denen Frankreichs war von den Franzosen in dem kurzen Feldzuge geräumt und gereinigt und die österreicher glaubten nun nicht weiter der russischen Hülfe zu bedürfen, um sich dasselbe zu erhalten. Schwer wurden sie aber im Feldzuge des nächsten Jahres 1800 für diesen eitlen Wahn bestraft, wo alles mit soviel Mühe und Blut Eroberte in der einzigen Schlacht bei Marengo wieder verloren ging. Ueberdem, wie interessant wäre es gewesen, die beiden größten Feldherren ihrer Zeit, Suworow und Bonaparte, der bei Marengo die Franzosen anführte, gegen einander kämpfen zu sehen!

Der erhaltene Befehl mußte indeß befolgt werden und so setzten sich die russischen Truppen, circa 13.000 Mann stark, in Marsch, der Rest der 31.000 in Italien eingerückten Mann, von denen also 18.000 theils todt waren, theils blessirt oder verwundet in den Hospitälern nachblieben. So schweren Verlust hatten die Russen gehabt; besonders war er groß an Stabs und Oberoffizieren gewesen. Eine Anzahl von österreichischen Offizieren des Generalstabes, die schon in der Schweiz gefochten hatten, und ein Bataillon österreichischer Jäger schlossen sich auf dem Marsch unsern Truppen an. Dieser führte uns über die Städte Casale, Bercelli, Novara, Lugano und Bellinzona bis Airolo, einem kleinem Städchen am Fuß des Gotthardsberges, der von den Franzosen besetzt war, über den wir, um in die Schweiz zu gelangen, uns den Weg bahnen mußten. Unsere ganze Artillerie, Bagage und Fuhrwagen der Offiziere wurden über Verona geschickt, um später zwischen Luzern und Zürich, wo wir uns befinden würden, zu uns zu stoßen, weil nichts von Allem über den Gotthard zu bringen möglich war, wo damals nur noch der alte ganz schmale Felsenweg bestand. Jeder von uns Offizieren durfte nur einen Maulesel mit Packsattel haben.

 

6. Von Airolo nach Altdorf.

Gleich in Airolo fingen die Widerwärtigkeiten an, die uns auf diesem Feldzuge in der Schweiz begleiteten. Laut Bestimmung sollten wir in Airolo 40 Bergkanonen mit ihrem Zubehör auf Mauleseln und 800 dieser Thiere zum Transport des Proviants für unsere Truppen vorfinden. Nichts von dem Allen war da, wodurch mehrere wichtige Tage uns verloren gingen. Die österreichischen Behörden gaben die unerlaubte Entschuldigung, sie hätten uns erst später erwartet, obgleich sie in diesem Feldzuge Gelegenheit gehabt haben, zu sehen, daß die langsamen österreichischen Bewegungen den Russen fremd waren und Suworow stets gewohnt war, forcirte Märsche zu machen. Endlich erschienen die 40 Bergkanonen ohne die zum Provianttragen bestimmten 800 Maulesel, wieder unter dem richtigen Vorwande, diese Zahl wäre sehr schwer herbeizuschaffen. Um nicht mehr Zeit zu verlieren, befahl der Feldmarschall 1000 von unseren Kosakenpferden, jedes mit 2 Säcken Proviant zu beladen, was uns indeß wenig half, indem diese armen Thiere so schwer beladen auf dem Marsch in den Gebirgen allmäßlig zum größten Theil in die Abgünde stürtzten und so Pferde und Proviant verloren wurden. Als dieser Befehl in Eile erfüllt war, befahl Fürst Suworow sogleich zum Angriff des Gotthardsberges zu schreiten. Ein Theil der Truppen sollte die Franzosen auf dem Berge angreifen, der andere diese in dem Gebirge umgehen, eine sehr schwierige Aufgabe, und sich dann mit dem ersten im Thale von Ursern jenseits des Gotthard wieder zu vereinigen.

Nachdem dieser Theil unter den Befehlen der Generale Derfelden und Rosenberg abmarschiert war, ließ der Feldmarschall den ersten Theil angreifen. Der den Berg hinaufführende sehr schmale, kaum für 3 Mann breite, sehr steile Weg war vom Feinde von beiden Seiten besetzt. Diesen zu vertreiben und den Weg zu eröffnen, ward ich und der Obrist Schuwalow, später Generaladjutant, mit einer starken Zahl Tirailleure vorausgeschickt. Dieses glückte uns unter heftigem Feuer und einigem Menschenverlust, bei welcher Gelegenheit Graf Schuwalow selbst ziemlich schwer verwundet ward. Der Feind, der von seiner hohen Stellung das schnelle Vorrücken unserer Truppen übersehen konnte, trat den Rückzug an und so ward von unserer Seite in fortwährendem Tirailliren rasch vorgerückt, weil in diesem Gebirge nicht anders zu fechten möglich war, bis zu dem Orte Hospital, ganz oben auf dem Gotthard gelegen, von wo der Feind in rascher Retirade, beinahe Flucht, sich bis zur Teufelsbrücke im Ursernthale zurückzog, eben so rasch auch von uns verfolgt. Ehe man zu dieser Brücke gelangt, führt der Weg beim Dorfe Ursern durch einen im Berge gehauenen dunkeln Durchgang, genannt das Ursernloch. Als wir diesen zurückgelegt hatten, fanden wir den mittleren Bogen der Brücke über den reißenden Strom gesprengt und den Uebergang verhindert. Als wir uns nach Mitteln umsahen, wie der Uebergang herzustellen, erblickten wir in der Nähe auf einer kleinen Wiese eine Scheune von Holz. Im Nu ward sie heruntergerissen und die Balken zur Brücke geschleppt. Als wir trimphirend nun glaubten herübergehen zu können, zeigte es sich, daß die runden Balken nicht zusammenhielten und man riskirte in den unten rauschenden Abgrung zu stürtzen. Da wir ohne Stricke oder andere Mittel sie zu befestigen waren, hatte ein Major Fürst Mescherskh die glückliche Idee, feine Schärpe dazu hinzugeben, welches von allen Offizieren befolgt wurde, so das nothdürftig einige der mittleren Balken zusammengebunden wurden und wir hinüber konnten. Glücklicher Weise hatte der Feind die Anhöhen auf der anderen Seite nicht besetzt und verfolgte seine Retirade, sonst wäre der Uebergang wohl nur mit schwerem Verluste gemacht worden. Ihn gleich weiter verfolgend, erreichten wir ihn erst wieder bei dem Dorfe Amsteg, wo er seine Arrieregarde mit 2 Kanonen bei der Brücke über ein kleines Flüßchen aufgestellt hatte. Das Gros unserer Truppen hatte mittlerweile hatte die Teufelsbrücke solider hergestellt und war uns rasch nachgefolgt, wo wir denn auch unsere Schärpen wieder bekamen. Der General Graf Miloradowitsch, der das Commando unserer Avantgarde hatte, übergab mir den Befehl eines Bataillons seines apscheronischen Regiments, von dem er Chef war, mit dem Auftrage, den Feind anzugreifen, die Brücke zu nehemen und ihm vom anderen Ufer zu vertreiben. Graf Miloradowitsch hatte die Gewohnheit, seine Truppen vor jedem Angriff anzureden und sie aufzufordern, tapfer zu fechten; so that er es denn auch hier und schloß mit folgender Rede: «Leute, ich erzeige euch die Ehre, euch einen Gardeobristen zum Commandeur zu geben; macht mir nur keine Schande!» Ich war den 22. April 1799 zum Obristen avancirt. Den mir gegebenen Auftrag zu erfüllen, befahl ich keinen Schuß zu thun, sonder mit gefälltem Bajonett in raschem Lauf und mit lautem Hurrah auf Feind und Brücke sich zu werfen und wo möglich die 2 Kannone zu nehmen. Der Feind empfing uns mit ziemlich starkem Feuer und zwei Schüssen aus seinen glücklicher Weise zu hoch gerichteten Kanonen und ergriff die Flucht. Die Brücke war genommen, die Ufer des Flüßchens in unserem Besitz, allein die Kanonen entgingen uns, die der Feind rettete und mit sich nahm. Mein Verlust war ein Offizier Namens Gutkow und einige Mann todter und verwundeter Soldaten. Den Feind rasch verfolgend, erreichten wir gegen Abend das Städchen Altorf am Luzerner See[1], nicht weit entfernt von Wilhelm Tells Kapelle, so das wir in einem Tage von Airolo aus den Gotthard erstiegen und uns den Weg ins Innere der Schweiz bis Altorf gebahnt hatten; wahrlich keine kleine Aufgabe, die glücklich ohne großen Verlust an Mannschaft gelöst ward. Hier hörte die Verfolgung auf, da die Truppen nach diesem so forcirten Marsch notwendig Ruhe brauchten. Auch hatte sich der Feind auf dem schmalen Wege nach Luzern, auf der einen Seite den See, auf der anderen steiles Gebirge, so stark verschanzt, daß hier durchzubrechen nicht ohne großen Menschenverlust gelingen konnte. Indeß sollte man am andern Morgen dennoch ein Angriff erfolgen und versucht werden, zugleich die feindliche Stellung zu umgehen, um die Vereinigung mit General Korsakow bei Luzern sobald als möglich zu bewerkstelligen. Dieser hatte den Befehl, bei Zürich aufgestellt, die Franzosen unter General Massena anzugreifen - was aber bei uns in Italien geheißt hatte, sie zugleich zu schlagen - und uns bei Luzern entgegen zu rücken, was wahrscheinlich geschehen wäre, hätte ein tüchtigerer Anführer als Korsakow befehligt.

 
7. Schlacht bei Zürich.

Allein gleich beim Einrücken in Altorf erfuhren wir die Unglücksnachricht, die Russen seien bei Zürich total geschlagen und seien gezwungen gewesen, sich weit zurückzuziehen. Sie schien uns so unwahrscheimlich, daß Niemand daran glauben wollte; indeß bestätigte sie sich leider in der Nacht, auch daß General Massena mit ganzer Macht gegen uns vorrückte. Außer Stand, mit unserem schwachen Corps dieser zu widerstehen, galt es rasch einen Entschluß zu fassen, wie wir uns am leichtesten aus dieser gefahrvollen Stellung herausbringen könnten. Vorwärts zu gehen, war unmöglich; es blieb also die Wahl, den Rückmarsch nach Italien anzutreten, was der Feldmarschall nicht durfte und auch nicht wollte, oder uns auf ganz unwegsamen Wegen, eigentlich nur für Gemsenjäger gemacht, durch das hohe Gebirge nach den kleinen Schweizer Cantonen zu ziehen und vor dem Feinde Stadt und Canton Schwyz zu besetzen, wo vielleicht noch eine Möglichkeit sich finden konnte, die Communikation und die Vereinigung mit dem Korsakowischen Corps herbeizuführen. Das Letztere ward beschlossen und wir erhielten den Befehl, den Marsch bei Tagesanbruch anzutreten. So wurden denn alle unsere und des Feldmarschalls Aussichten auf weitere Erfolge durch den unglücklichen General Korsakow vernichtet, der sich in seinem Eigendünkel ein zweiter Feldmarschall Rumänzow dünkte, weil er unter ihm gedient hatte. Statt selbst anzugreifen, wie seine Stellung es forderte, wartetet er den Angriff der Franzosen ab und verlor allein dadurch schon die Vortheile, die der Angreifende immer gegen den Angegriffenen hat; auch sollen alle seine Anordnungen fehlerhaft gewesen sein. Mit ihm trug der österreichische Feldmarschalllieutenant Hotze auch einen Theil der Schuld an der verlorenen Schlacht bei Zürich. Bis zu unserer Vereinigung mit Korsakow sollte er dessen linken Flügel unterstützen und sich dann erst mit seiner Truppen aus der Schweiz in das Vorarlbergische ziehen. Dieses aber that zum Theil zu früh und konnte daher die Russen bei dem Angriff der Franzosen nicht gehörig unterstützen.

 
8. Von Altorf nach Muotta.

Unser Marsch führte uns gleich von Altorf aus in das hohe Gebirge, wo bald die Wege, eigentlich nur Fußstege, so schmal waren, daß an ene Ordnung nicht gedacht werden konnte, Alles sich gewissermaßen zerstreute und ein Jeder suchte, wie er am Besten weiter käme, ohne Gefahr zu laufen, in die Abgründe zu stürtzen, was Viele dennoch nicht vermeiden konnten und Einigen das Leben kostete, indem die Wege abschüssig und von dem gefallenen Schnee im hohen Gebirge feucht und unsicher waren. Nur langsam in langen Zügen konnte fortgeschritten werden, zu Pferde war nirgends fortzukommen und wir Offiziere mußten unsere Thiere selbst am Zügel führen. Die mit Proviant beladenen Kosakenpferden stürtzten in die Abgründe, viele Mauleseln mit ihren Packsätteln gleichfalls, ebenso ein Theil der von Mauleseln getragenen Gebirgskanonen und die Packsättel des Großfürsten Constantin mit seinem silbernen Tischservice, von diesem nur ein Theil wieder herausgeholt werden konnte. So schritten wir nur langsam vorwärts und erreichten endlich mit Noth und Mühe bei Anbruch der Nacht den letzten hohen Berg, der in`s Thal von Mutten (Muotta) im Canton Schwyz führt. Nur ein Theil konnte in der Dunkelheit in`s Thal heruntersteigen, was bei dem steilen Abgange mit Gefahr verbunden war, und beinahe die Hälfte unserer Truppen mit dem General Rosenberg mußte oben auf dem Berge die Nacht bei der scharfen Kälte in diesem hohen Gebirge bivouaquieren. Ihre Feuer gaben in der Dunkelheit, von dem Thale aus gesehen, einen schönen Anblick. Der Weg von diesem Berge in`s Thal bildete an vielen Stellen natürliche Stufen von glattem Fels, oft von 2 und mehr Fuß Höhe, wo in der Dunkelheit viele Leute stürtzten. Mir selbst, der ich gleich allen anderen Offizieren mein Reitpferd selbst am Zügel führen mußte, geschah es, daß mein Pferd an einer hohen Stufe stürtzte und mich mit hinuterzog, so daß wir beide einen seitwärts gelegenen Abhang des Berges hinunterrollten. Als ich zur Besinnung kam, die ich im ersten Augenblick durch den Sturz verloren hatte, fand ich mich in einem kleinen Gebüsch von feinem Gesträuch liegen, das mich von einem tiefen Falle glücklicher Weise abgehalten hatte, hörte über mir die lauten Reden der marschirenden Soldaten und ihr fortwährendes Rufen: sacht! sacht!, weil, wenn Einer stürtzte, er gewöhnlich einen Vordermann mit sich riß. In der Voraussicht, die Nacht vielleicht im Geburge zubringen zu müssen, hatte man mehrere Holzfackeln mitgenommen, die ein trauriges zerstreutes Licht auf die langen Züge der Soldaten warfen. Zur überzeugung gekommen, daß ich außer einigen Contusionen beim Sturz keinen weiteren Schaden davon getragen, rief ich; auf meinen Ruf kamen einige Soldaten mir zu Hülfe und halfen mir den steilen Abhang wieder hinaufsteigen, und so erreichte ich denn endlich mit einem Theil der Truppen das Dorf Mutten, mich glücklich schätzend durch Gottes Gnade und meinen Glücksstern das Leben und gesunde Gliedmaßen erhalten zu haben. - - Am andern Tage ward auch mein Pferd gefunden, das gleichsfalls so glücklich gefallen war, daß nur der Sattel und die Griffe beider Pistolen gebrochen waren. Nachdem sich das ganze Corps bei dem Dorfe Mutten gesammelt hatte, war den Truppen nach dem zurückgelegten furchtbaren Marsch ein Ruheteg unerläßlich und ward ihnen gewährt. Den meisten Proviant hatten wir im Gebirge verloren; hier aber fand sich nichts Anderes als große Vorräthe von grünem Käse, der besonders gut und viel im Thale von Mutten gemacht wird. Dieser und die wenigen Kartoffeln, die man fand, wurde den Truppen preisgegeben und damit mußten sie sich begnügen.

 
9. Von Muotta nach Glarus.

Nach hier abgehaltenem Kriegsrathe befahl der Feldmarschall dem General Rosenberg, mit der einen Hälfte der Truppen gegen die Stadt Schwyz tu rücken, während er selbst mit dem Rest den Weg nach der Stadt Glarus antreten würde. Wenn beide Städte genommen wären, wollte er sehen, von wo und wie am leichtesten eine Vereinigung mit den Korsakowischen Truppen zu bewerkstelligen wäre. Gerneral Massena hatte auf die Nachricht von der Richtung, die der Fürst Suworow genommen, sich gleich von Luzern in Marsch gesetzt, um wo möglich früher im Muttenthale einzutreffen und uns so jeden Ausgang aus dem Gebirge abzuschneiden; glücklicher Weise waren wir aber vor ihm dort eingetroffen. Bei der Stadt Schwyz stießen Massena und Rosenberg an einander, wo es einen harten Kampf gab, Massena aber gezwungen ward, das Feld den Unsrigen zu lassen und schleunigst zu retiriren, bei welcher Gelegenheit sein Hut gefunden war, den er bei Retraite verloren haben mußte.Auf den Bericht des General Rosenberg sand der Fürst Suworow: obglech Massena für den Augenblick weichen müssen, wäre seine Macht noch so groß, daß für unser schwaches Corps ein Durchschlagen in der Richtung von Schwyz schwerlich gelingen könnte, daß uns daher der einzige Weg über Glarus nach Graubündten zu gelangen übrig bleibe. Sogleich ward dahin sich in Marsch gesetzt, weil keine Zeit zu verlieren war, und Rosenberg der Befehl geschickt, zu folgen. Es galt hier die größte Eile, um vor dem Feinde in Glarus einzutreten und nicht den einzig übriggebliebenen Ausweg zu verlieren. Ich befand mich bei der Abtheilung unter directem Befehl des Feldmarschalls.Von Mutten bis zum Cloenthaler See, auf dem Wege nach Glarus, stießen wir auf keinen Feind, hier aber fanden wir ihn uns erwartend. Der Weg, den wir nehmen mußten, zieht sich so, daß er auf der einen Seite den See, auf der anderen eine nicht zu ersteigende und nicht leicht zu umgehende Felsenwand hat. Es galt den Durchgang zu forcieren, zu welchem Zweck der Obrist Lange, Adjutant des Großfürsten Constantin, den Befehl erhielt, mit einem Bataillon den Feind in der Front anzugreifen, und mir ward der Befehl, mit einem anderen Bataillon das andere, wieder an eine Felsenwand stoßende Ufer des Sees zu durchwaten und den Feind in der Flanke und dem Rücken seiner Stellung zu umgehen und dergestalt den Angriff des Obristen Lange zu unterstützten. Unter heftigem Feuer des Feindes setzten wir uns in Bewegung, Obrist Lange ohne einen Schuß zu thun mit gefälltem Bajonett und ich gleichfalls in raschem Lauf durchs Wasser watend, das nicht tief war, um ihm so schnell als möglich in die Flanke zu kommen und so Lange`s Angriff zu unterstützen. Der Kampf zog sich für Letzteren hin, bis der Feind sich von mir in der Flanke und dem Rücken bedroht sah, dann eilig den Rückzug antrat und unsern Truppen den Weg überließ. Unser Verlust wäre unbedeutend gewesen, wenn nicht Obrist Lange durch einen Schuß im Unterleibe gefährlich verwundet worden wäre, der auch in Kurzem den Tod herbeiführte. Allgemeines Bedauern folgte ihm, denn er war ein braver und ausgezeichneter Offizier, mir auch ein guter Freund gewesen. Nach diesem Erfolge ging der Marsch weiter. Kurz vor Glarus liegt links das Städtchen Riedern[2]), abermals vom Feinde besetzt und mit einer Batterie, die den dahinführenden Weg beschoß. Konnte Riedern genommen werden, so war nach dieser Seite ein besserer Ausweg als über Glarus. Demzufolge ward gleich zum Angriff dieser feindlichen Stellung geschritten, allein leider war sie so stark, und vom Feide so zahlreich besetzt, daß unsere Truppen sie nicht nehemen konnten und zurückgeschlagen wurden. In diesem Thale stehend konnten wir deutlich sehen, wie von beiden Seiten die französischen Colonnen auf dem Kamm der Gebirge eilten, vor uns Glarus zu erreichen. Dieser Gefahr zu entgehen, mußte ein weiterer Angriff auf Riedern unterbleiben und wir mußten eilen, vor dem Feinde den Ort zu erreichen, weil wir sonst Gefahr liefen, von ihm umringt, jeden Ausweg aus diesem Kessel abgeschnitten zu sehen und vielleicht durch die gar zu große Uebermacht in einem verzweifeltem Kampfe von unserer Seite vernichtet zu werden. Es war wohl der kritischste Moment für uns in diesem Feldzuge, den ein Jeder bis in`s Innerste fühlte. Hier war es auch, wo der alte ehrwürdige Feldmarschall die ganze Gefahr, die uns drohte, fühlend, in seine grauen Haare griff und zu seiner Umgebung ausrief: «man sage nie von einem Manne vor seinem Tode, er sei immer glücklich gewesen» - weil er wußte, daß er sich diesen Ruf erworben habe. Hier galt es also so eilig als möglich vormärts zu gehen und Glarus vor dem Feinde zu erreichen. Die Arrieregarde ward aus unsern besten Truppen gebildet, dann setzte sich ohne Weiteres in Marsch. Glücklich erreichten wir diese Stadt, als eben von beiden Seiten die feindlichen Colonnen hinter uns das Gebirge hinunterstiegen. Eine Stunde entschied vielleicht alles.

 
10. Von Glarus nach Chur und Schluß des Feldzugs.

Glarus ohne Aufenthalt durchziehend, richtetetn wir unsern Marsch nach dem Städchen Schwanden. Nur unsere Arrieregarde ward noch vom Feinde erreicht, die tapfer sich wehrend, obgleich mit bedeutendem Verlust, nicht abgeschnitten werden konnte. Jenseits Schwanden hörte jede weitere Verfolgung auf und war uns nun der Weg offen und frei, um über die Stadt Ilanz Coire (Chur) in Graubündten zu erreichen. So hatte dennoch das Glück, daß den alten Feldmarschall bis dahin überall begleitet hatte, ihn auch in dieser vielleicht gefährlichsten Lage seines Lebens nicht ganz verlassen und wir waren einer schmählichen Gefangenschaft oder einem zwecklosen Hinopfern glücklich entgangen.

In Graubündten befanden wir uns wie in Freundesland, ohne weitere Berührung mit den Franzosen. Nach ein Paar Ruhetagen traten wir den Marsch über Feldkirch und Bregenz nach Lindau an, wo endlich die Vereinigung mit de0n Truppen des Generals Korsakow ohne Weiteres stattfand und dieser Feldzug für uns sein Ende erreichte. Mir ward als Belohnung für die in der Schweiz und beim Uebergange des St.-Gotthard bestandenen Gefechte der St. Annenorden 2. Klasse, reich mit Brillanten besetzt.

So war denn damit der für Rußlands Waffen so glorreiche Feldzug von 1799 unter Suworow`s Oberbefehl in Italienh und der Schweiz beendigt. Glorreich aber blutig, denn von den in zwei Abtheilungen dahin gesandten Russen, die erste von 18.000 Mann unter den Befehlen des Generals Rosenberg und die zweite von 13.000 Mann unter den Befehlen des Generals Reybinder, im Ganzen 31.000 Mann, verließen nur 11.000 Italien[3] *) und nur 9.000 die Schweiz; mithin waren todt, blessirt oder krank in den Hospitälern 22.000 Mann nebst einer großen Anzahl Offiziere. Gefangen waren äußerst wenige. Es gab einzelne Bataillone, z.B. die Grenadiere des Obersten Lomonossow, wo nur zwei Offiziere, 80 Mann Gemeine und 1 Querpfeifer übrig geblieben waren und er selbst durch die Contusion einer vorbeigeflogenen Kanonenkugel des Gehörs und der Sprache beraubt war, - und Regimenter, wie z.B. das berühmte Jekaterinoslawische Grenadierregiment, früher Fürst Potemkin, von 4.000 M., das im Laufe dieses Feldzuges 6 Commandeure verloren hatte. Und alle diese Ofper waren gebracht in einem in seinen Erfolgen einzigen Feldzuge, der in wenig Monaten den Franzosen das ganze Italien bis an Frankreichs Grenze entriß, mit seinen vielen Festungen, von denen ihnen einzig und allein noch Genua verblieb, während leider in dem darauf folgenden Jahre in Folge der einzigen Schlacht von Marengo Alles wieder ohne weiteren Schwertschlag von den österreichern den Franzosen zurückgegeben ward. Doch verbleibt und gehört dennoch Suworow`s ruhmvoller Name und dieser Feldzug ewig der Geschichte, zum großen Ruhme der Waffen Rußlands!

Baltische Monatsschrift. 1864. Band 13. S. 250-259.

 

[1] Irrtumlich.

[2] Der Verf. hat hier und an den folgenden Stellen «Waasen». Unzweifelhaft ist dies eine Verwechselung mit dem gleichnamigen Orte im Reußthale an der Ausmundung des Mayenthales, wo vorher schon Kämpfe ähnlicher Art stattgefunden haben mögen. Der Sachlage nach kann hier eben nur Riedern, nordlich von Glarus, gemeint sein.

[3] Oben im Abschnitt 5 war die Zahl der Truppen, die Italien verließen, auf 13.000 angegeben; bei Häusser deutsche Geschichte, 2. Ausg. Bd. II., 219 fand es «ungefähr 20.000 Mann.»

 

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